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Sitzungsübersicht
Sitzung
AK09: Zusammen sind wir stärker – aber wie arbeiten wir zusammen? Fallstudien und Ansätze zur Integration von Forschung und Praxis in der Sportpsychologie
Zeit:
Freitag, 19.05.2023:
8:30 - 10:00

Chair der Sitzung: Svenja A. Wolf, Florida State University
Chair der Sitzung: Philipp Röthlin, Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen
Diskutant*in: Franzi Lautenbach, Humboldt-Universität zu Berlin
Ort: V 7.02

401 Plätze

Präsentationen

Zusammen sind wir stärker – aber wie arbeiten wir zusammen? Fallstudien und Ansätze zur Integration von Forschung und Praxis in der Sportpsychologie

Chair(s): Svenja A. Wolf (Florida State University, USA), Philipp Röthlin (Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen), Franziska Lautenbach (Humboldt-Universität zu Berlin)

Diskutant*in(nen): Svenja A. Wolf (Florida State University)

Wenn sportpsychologische Forschung und Praxis integrativ zusammen arbeiten erhöht dies die Effektivität, Glaubwürdigkeit, Nützlichkeit und Qualität in beiden Bereichen (Wolf et al., 2020). Selbst wenn wir annehmen, dass Forschende und Praktizierende diesen Mehrwert erkennen und motiviert sind evidenzbasiert und wissenschaftsgeleitet (Praxis) bzw. feldorientiert und in der Wissensübersetzung (Forschung) zu arbeiten stehen der Umsetzung von Integration nach wie vor zahlreiche Barrieren im Wege (z. B., zu geringer gegenseitiger Austausch, fehlende Fertigkeiten; Haddow & Klobas, 2004; Morrissey et al., 1997). Aufbauend auf unserem Aufruf von 2020 und unseren Erfahrungen mit Integrationsprojekten (Lautenbach et al., 2022; Horvath & Röthlin, 2018) wollen wir deshalb in diesem Symposium Beispiele, Herausforderungen und Ansätze zur Umsetzung von Praxis-Forschungsintegration in der Sportpsychologie teilen und unter Einbezug des Publikums diskutieren und ergänzen. Nach einer kurzen Eröffnung und Einbettung beginnen Philipp Röthlin et al. von der Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen dieses Vorhaben mit der Präsentation ihrer Erfahrungen in der Planung und Durchführung wissenschaftlicher Projekte mit Sportverbänden sowie im Transfer sportpsychologischen Wissens in die Ausbildung von Trainerinnen und Trainer. Anschließend betrachten und bewerten Franziska Lautenbach et al. von der Humboldt-Universität zu Berlin und Nils Gatzmaga von RasenBallsport Leipzig die Erfahrungen ihrer Zusammenarbeit im Fußballkontext sowohl aus Forschungs- als auch aus Praxisperspektive. Folgend teilt Christopher Willis vom Center of Mental Excellence seine Eindrücke, Herausforderungen und Lösungsansätze im Rahmen der Aus- und Fortbildung sportpsychologischer Praktizierender unterschiedlicher Expertisestufen mit einem Fokus auf evidenz- versus erfahrungsbasiertes Wissen. Schließlich schildert Monika Liesenfeld vom Olympiastützpunkt Berlin wie sie ihren theoretischen (systemischen) Beratungsansatz in ihrer praktischen Arbeit umsetzt und ruft dazu auf, dass auch die Forschung stärker systemorientiert denkt und welchen Mehrwert dies hätte, zum Beispiel für Praxiskooperationen. Nach eine abschließen Zusammenfassung enden wir dann mit einer moderierten Publikumsdiskussion im Anschluss an welche die Teilnehmenden neben ihrer Motivation hoffentlich auch konkrete Ansätze zu Integration und Überwindung bestehender Barrieren mitnehmen und wir alle der Umsetzung von integrierter sportpsychologischer Forschung und Praxis einen Schritt nähergekommen sind. Letztendlich ist es nicht nur der Wille sondern auch das Wissen und die Wirksamkeit, welche zu Forschungs-Praxis-Integration nötig sind (Bandura, 1977, 1997) und wir hoffen mit stellvertretenden Erfahrungen und konkreten Handlungsplänen einen Beitrag zu Erhöhung dieser leisten zu können.

 

Beiträge des Arbeitskreises

 

Wer hat’s erfunden? Eine kritische Auseinandersetzung mit der Integration von sportpsychologischer Forschung und Praxis in der Schweiz

Philipp Röthlin, Stephan Horvath, Gareth Morgan, Daniel Birrer
Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen

Die Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen (EHSM) befasst sich ausschliesslich mit Ausbildung, angewandter Forschung, Entwicklung und Dienstleistungen im Sport. Das Ressort Leistungssport, zu dem auch die Abteilung Sportpsychologie gehört, und die Trainerbildung Schweiz als wichtige Pfeiler der EHSM erbringen neben der Forschungstätigkeit sportwissenschaftliche Dienstleistungen für die Sportverbände (z.B. Leistungsdiagnostik oder sportpsychologische Beratung) und bilden Trainerinnen und Trainer mit Berufsanerkennung aus. Die gegenseitige Befruchtung von Forschung, Dienstleistung und Lehre ist als wichtiges Merkmal in der Strategie der EHSM verankert. Da die EHSM Teil der Bundesverwaltung ist, besteht eine Nähe zur Sportpolitik sowie zur Spitzensportförderung der Armee. In Magglingen befindet sich zudem ein Leistungssportzentrum, in dem Spitzensportlerinnen und -sportler trainieren können. Damit scheint die EHSM auf den ersten Blick gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration von sportpsychologischer Forschung und Praxis zu haben.

Der Beitrag stellt drei Beispiele vor, in denen diese Integration unterschiedlich gut gelingt: (1) die Vermittlung von aktuellen Forschungsergebnissen in der Trainerausbildung, (2) regelmäßiges Screening von (durch die Forschung als leistungs- oder gesundheitsrelevant nachgewiesenen) psychologischen Konzepten bei Nachwuchs-Nationalmannschaften und Rückmeldung der Ergebnisse an die Athletinnen und Athleten und deren Umfeld und (3) das Modell des «embedded scientist», das es Sportverbänden ermöglicht, Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler zu beschäftigen, die gleichzeitig an eine Forschungseinrichtung angebunden sind.

Die Analyse der Beispiele anhand der Faktoren von Wolf et al. (2020) zeigt, dass die Integration von Forschung und Praxis dann funktioniert, wenn sie als wichtig und effizient wahrgenommen wird, wenn ein regelmässiger und respektvoller Kontakt zwischen Praxis und Forschung stattfindet und wenn sie finanziell gefördert wird (z.B. durch die Finanzierung von wissenschaftlichen Stellen in den Sportverbänden durch Swiss Olympic). Die Integration von Forschung und Praxis wird erschwert, wenn der Austausch fehlt (Kommunikationsbarriere), wenn andere Praxisprobleme wichtiger sind als aktuelle Forschungsergebnisse (Dringlichkeitsbarriere), wenn die Forschungsterminologie unverständlich ist (Begriffsbarriere) und wenn einerseits den Forschenden die Zeit fehlt, ihre Ergebnisse praxistauglich aufzubereiten und andererseits der Praxis die Zeit fehlt, Forschungspublikationen zu lesen (Zeitbarriere, Wolf et al., 2020).

 

Die Ups und Downs der Kooperation von Fußball und Uni

Franziska Lautenbach1, Simon Knöbel2, Nils Gatzmaga3
1Humboldt-Universität zu Berlin, 2Humboldt-Universität zu Berlin; Universität Leipzig, 3RasenBallsport Leipzig GmbH, Deutschland

Nach den Anbahnungen im Sommer 2018 begann im Frühjahr 2019 die Kooperation zwischen der Nachwuchsabteilung von RB Leipzig, der Universität Leipzig und der DSHS Köln zur Entwicklung einer kognitiven Diagnostik für den Soccerbot360. Im Sommer 2019 starteten die ersten Testungen zur Validierung einer Inhibitionsaufgabe und einer kognitiven Flexibilitätsaufgabe. 2021 wurde der Einfluss von psychophysiologischem Stress und 2022 der Einfluss von positiven Emotionen auf exekutive Funktionen untersucht.

In Anlehnung an unseren Beitrag, in der diese Zusammenarbeit bereits beleuchtet wurde (Lautenbach et al., 2022), soll der Beitrag auf der Tagung tiefer ins Detail gehen und insbesondere Herausforderungen im Jahr 2022 deutlich machen. Wechselnde Akteure, überraschende Entscheidungen, unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche auf Seiten der Forschung und Praxis sowie veränderte Pläne sollen beschrieben werden. Hierbei ist es Ziel zum einen die wissenschaftliche Sicht, sowie die Umsetzung in der Praxis durch die Wissenschaft zu erläutern und zum anderen die Seite der Praxis und den dort getroffenen Entscheidungen darzulegen. Vor diesem Hintergrund ist es insgesamt unser Wunsch, dass zukünftige Kooperationen zwischen Forschung und Praxis aus unseren Fehlern lernen und ggfs. von unseren Erfahrungen profitieren.

 

Erfahrungen und Herausforderung bei der Integration von Forschung und praktischer Erfahrung in der sportpsychologischen Aus- und Fortbildung

Christopher Willis
Center of Mental Excellence

Um zu gewährleisten, dass das asp- Curriculum „Sportpsychologisches Training und Coaching im Leistungssport“ den Anforderungen der Sportpsychologie in der Praxis gerecht wird und sich zugleich an wissenschaftlich fundierten Methoden und Ergebnissen orientiert, wurden u.a. im Rahmen von praxisorientierten wissenschaftlichen BISp-Projekten verschiedenste Qualitätskonzepte, Arbeitsmittel und Leitideen entwickelt. Eine enge Abstimmung erfolgt hierbei mit dem Ausbildungsbeirat der asp, dem u.a. das BISp, der DOSB sowie weitere sportpsychologische Fachverbände und -institutionen angehören. Aufgrund dieser Qualitätssicherungsmaßnahmen konnte die Integration von Forschung und Praxis im Rahmen des asp- Curriculums für die Ausbildung der Einsteiger*innen (Level 1 – Novize/Junior) in die sportpsychologische Praxis deutlich verbessert werden. So werden grundlegende sportpsychologische Themenbereiche, wie strukturelle und organisatorische Rahmenbedingungen der sportpsychologischen Tätigkeit, sportpsychologische Problemexploration und Anamnese, sportpsychologische Diagnostik, sowie sportpsychologische Interventionsbereiche (…wie Zielsetzungstraining, Achtsamkeitstraining, Entspannungstraining, Selbstgesprächsregulation, Vorstellungstraining oder Optimierung der Gruppendynamik) auf den Ebenen der externen sowie internen Evidenz und der Klient*innenperspektive im leistungsorientierten Sport vermittelt.

Evidenzbasierte sportpsychologische Fortbildung von erfahrenen Kolleg*innen Level 2 (Fortgeschritten/Professional) und Level 3 (Expert/Senior) gestaltet sich aufgrund der anspruchsvollen Aus- und Fortbildungsthematiken und der im Vergleich zu den sportpsychologischen Grundlagenthemen geringeren Evidenz deutlich schwieriger. Für Themenbereiche, die für erfahrene Kolleg*innen relevant sind, wie sportpsychologische Supervision, langfristige Karriereentwicklung und Positionierung von sportpsychologischen Expert*innen im System des Leistungssports, sportpsychologische Organisationsentwicklung von Verbänden, sportpsychologische Betreuung von Führungskräften im Leistungssport, langfristiges sportpsychologisches Coaching von Familien, die im Leistungssport engagiert sind oder evidenzbasiertes Vorgehen bei ethischen Dilemmata im Leistungssport (…wie systematischer Machtmissbrauch und Grenzüberschreitungen, Instrumentalisierung von sportpsychologischen Expert*innen oder Kunst- und Interventionsfehler in der sportpsychologischen Beratung) ist ein Mangel an fachlicher Evidenz festzustellen. Dennoch ist es geboten und für die Entwicklung der Sportpsychologie erforderlich, derartige Themenbereiche in der vertiefenden Aus- und Fortbildung von erfahrenen sportpsychologischen Expert*innen zu berücksichtigen. Im vorliegenden Transfersymposium sollen die Herausforderungen einer ausgewogenen evidenz- sowie erfahrungsbasierten Aus- und Fortbildung für die verschiedensten Expertisestufen von sportpsychologischen Expert*innen dargestellt und Lösungsvorschläge diskutiert werden.

 

Passung von Beratungsansatz und Forschungsansatz – welche Bedeutung hat das für die Praxis?

Monika Liesenfeld
Olympiastützpunkt Berlin

Es existieren unterschiedliche Beratungsansätze und zugrundeliegende Haltungen in der Sportpsychologie (vgl. Brand, Benthien, Decker, Grote, Heinz, Hust & Wippich, 2014). Dies hat Einfluss auf die praktische Arbeit des Sportpsychologen bzw. der Sportpsychologin. Denn ein Beratungsansatz ist nicht nur eine Ansammlung bestimmter Methoden oder Techniken, sondern basiert auf einem Theoriegebäude, welches wiederum durch bestimmte Einstellungen und Werte gekennzeichnet ist und Handlungsorientierung gibt (vgl. Lieb, 2009; Weidig & Liesenfeld, 2020).

Der praktizierte Beratungsansatz der Referentin des OSP Berlin ist der systemische Ansatz. Systemisch arbeitende Sportpsychologinnen und Sportpsychologen gehen davon aus, dass es keine Objektivität im eigentlichen Sinne gibt. Alles Verhalten ist in den jeweiligen Kontext eingebettet und erscheint dadurch sinnvoll und erklärbar. Somit sind alle Beobachtungen immer nur Ausschnitte und subjektiv. Je nach Ausschnitt und Perspektive ändern sich somit wahrgenommene Zusammenhänge und Bedeutungen. Es geht entsprechend nicht darum, das Verhalten einzelner Personen zu verändern, sondern darum, die Funktion, den Sinn von typischen Mustern im System zu verstehen. Gelingt dies, dann können Strukturen, Beziehungsmuster oder Denkweisen verändert werden, um anderes Verhalten zu ermöglichen (Königswieser & Hillebrand, 2009; Weidig & Liesenfeld, 2020).

Vor dem Hintergrund, dass Forschung und Praxis im Miteinander dann gut funktionieren, wenn u.a. die Forschungsfragen von der Praxis als praktikabel, wichtig und sinnvoll erachtet werden, wird in diesem Beitrag diskutiert, inwieweit es sinnvoll sein kann, den systemischen Beratungsansatz auch in der Forschung bzw. bei der Erstellung von Hypothesen und Fragestellungen zu berücksichtigen.

Eine zentrale Frage systemischer Forschung besteht darin, ob die Verfahren bzw. eingesetzten Methoden etwas über die Systemqualität des Untersuchungsgegenstandes aussagen können, d.h. inwiefern sie Interaktionen, Vernetzungen, Synchronisationsprozesse und Dynamiken in der Zeit erfassen (Ochs & Schweitzer, 2012). Systemische Forschung orientiert sich eben nicht nur an einem Aspekt oder Funktionmodus komplexer Systeme, sondern stellt einen multiperspektivischen und multimethodalen Mehrebeneansatz dar. Zudem geht es darum, Verfahren der Datenerhebung und -analyse einzusetzen, die in der Praxis verwendbar sind und den Kooperationspartnern Nutzen und Vorteile bringen (Ochs & Schweitzer, 2012).

Eine Forschungskonzeption, die sich nicht nur an Einzelzusammenhängen und linearkausalen Überlegungen orientiert, sondern die Aspekte in den Kontext eingebettet betrachtet und Interaktionen und Vernetzungen etc. berücksichtigt, ist mit Sicherheit in der Umsetzung aufwendiger, könnte jedoch auf eine stärkere Akzeptanz bei den systemischen Praktikern und Praktikerinnen stoßen und die Integration von Forschung und Praxis in der Sportpsychologie noch weiter vorantreiben.