Aktuelle Debatten zur Wirksamkeit von Interventionen zu Leistung unter Stress
Chair(s): Laura Voigt (Deutsche Sporthochschule Köln, Deutschland)
Die Fähigkeit, trotz Stress zielgerichtetes Verhalten aufrechtzuerhalten, ist entscheidend für den Erfolg in verschiedenen Leistungssituationen, von sportlichen Wettkämpfen bis hin zu Notfallsituationen (Nieuwenhuys & Oudejans, 2017). Dennoch weisen zahlreiche Studien auf Leistungseinbrüche in perzeptuell-motorischen Aufgaben unter Stress hin (Nieuwenhuys & Oudejans, 2017). Als Erklärungsansätze für diese Leistungseinbrüche dienen in der Literatur zwei grundlegende Modelle, denen beide ein Aufmerksamkeitsmechanismus zugrunde liegt: Ablenkung (z.B. Eysenck et al., 2006) und Selbstfokus (z.B. Masters, 1992). In den Ablenkungsmodellen wird angenommen, dass aufgabenirrelevante Reize die Kapazität des Arbeitsgedächtnis beeinträchtigen. Die beeinträchtigte Effizienz kann aber durch gesteigerte Anstrengung kompensiert werden. In den Selbstfokusmodellen interferieren die bewusste Beobachtung bzw. Ausführung von Bewegungen mit der ansonsten automatischen Ausführung von Bewegungen. Auf der Grundlage dieser Modelle wurden verschiedene Interventionen zur Stabilisierung und Verbesserung der Leistung unter Stress entwickelt und getestet. Ziel des Symposiums ist es, aktuelle Forschung zu den (sport-)psychologischen Interventionsansätze und ihren Limitationen aus den verschiedenen theoretischen Strömungen zu erörtern. Konkret werden Grove und KollegInnen im ersten Beitrag eine systematische Literaturübersicht über proaktive und reaktive Interventionen zu reinvestmentbedingten Leistungseinbrüchen geben. Im zweiten Beitrag werden Voigt und Kollegen eine Interventionsstudie zur Wirksamkeit von Training unter Stress im Polizeidienst aus Sicht des Ablenkungsmodells vorstellen. Abschließend werden Frenkel und Kolleginnen mit dem Acceptance-and-Commitment-Therapy-Ansatz (Hayes et al., 1999) eine alternative Sichtweise zur Leistungserbringung unter Stress einführen und die statische Apnoe-Aufgabe als ein Paradigma einführen, das zur achtsamkeitsbasierten Vorbereitung zur Leistungserbringung in extremen Umwelten genutzt werden kann. Ausgehend von den empirischen Befunden werden im Symposium gemeinsame Merkmale und angenommenen Funktionen der Interventionen, Implikationen für die praktische Umsetzung der Interventionen und Wege für zukünftige Forschung diskutiert.
Beiträge des Arbeitskreises
Proaktiv oder reaktiv handeln? – eine systematische Übersichtsarbeit über Interventionen zu reinvestmentbedingten Leistungseinbrüchen im Sport
Patricia Grove, Laura Voigt, Markus Raab
Deutsche Sporthochschule Köln
Reinvestment ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Personen bewusst ihre Bewegungen mithilfe ihres expliziten Wissens oder ihren Entscheidungsfindungsprozess überwachen und kontrollieren sowie über zuvor nicht optimal getroffene Entscheidungen ruminieren (Kinrade et al., 2010; Masters & Maxwell, 2004). Durch diese Störung des automatisierten Ablaufes kann die Leistung im Sport insbesondere unter Stress signifikant einbrechen (Kinrade et al., 2015; Masters & Maxwell, 2008). Da das Ziel von Sportler:innen im Leistungssport ist, trotz Stressoren eine optimale Leistung zu erzielen (Theodosiou et al., 2018), sollten leistungsmindernde Auswirkungen von Phänomenen wie Reinvestment begrenzt werden. Um dieses zu erreichen, wurden Interventionen entwickelt, die darauf abzielen, den Einfluss von Reinvestment auf die Leistung zu minimieren (z.B. Jackson et al., 2006; Uiga et al., 2020). Im Hinblick auf die Frage, welche Interventionen hilfreich sind, um Reinvestment zu managen und die sportliche Leistung zu erhalten und/oder zu verbessern, ist es notwendig solche Ansätze systematisch zu identifizieren und einzuordnen. Dieses Wissen könnte vielen Sportler:innen helfen, ihre Leistungsverminderungen in Wettkämpfen effektiv entgegenzuwirken und eine stabilere Leistung zu erzielen.
In Anlehnung an die PRISMA 2020 Richtlinien wurden Interventionen im Zusammenhang mit Reinvestment durch elektronische Datenbanken, das Durchsuchen von Referenzlisten und die Verwendung der Netzwerkzitationsfunktion von ResearchRabbit identifiziert. Studien wurden inkludiert, die eine der Reinvestmentskalen verwendeten und auf eine Manipulation einer Handlung oder eines Prozesses der individuellen Kognition und/oder des Verhaltens (z. B. Aufmerksamkeitsfokussierungsstrategien) oder einer Lernstrategie (z. B. implizit) oder beides abzielen, um so die Funktionsweise zu verändern und/oder die Leistung in einer bestimmten sportbezogenen Aufgabe zu erhalten oder zu verbessern.
In dieser systematischen Übersichtsarbeit wurden N = 14 Studien eingeschlossen, von denen vier Studien proaktive (d.h. Einsatz vor der Leistungserbringung) Interventionsmaßnahmen in Form von Lernstrategien und eine Studie in Form einer „Reframing“-Strategie angewandt haben. Reaktive Interventionsmaßnahmen (d.h. Einsatz während der Leistungserbringung) haben acht Studien in Form von Aufmerksamkeitsfokusstrategien und eine Studie in Form einer Ablenkungsstrategie durchgeführt.
Die heterogenen Ergebnisse in Bezug auf eine positive Entwicklung der Leistungsparameter (z.B. Zeit, Genauigkeit) durch die Interventionsmaßnahmen zeigen, die Dringlichkeit einer einheitlichen Vorgehensweise insbesondere hinsichtlich des Studiendesigns, den Messzeitpunkten von Reinvestment, der Aufgabenvariabilität und der angewandten statistischen Auswertung, um eindeutiger effektive Interventionsmaßnahmen herausfiltern zu können. Implikationen für die Entwicklung und Durchführung solcher Interventionsmaßnahmen werden abgeleitet, um so eine bessere Vergleichbarkeit sowie Effektivität zukünftiger Studien zu erreichen und reinvestmentbedingten Leistungseinbrüchen entgegenwirken zu können.
Leistungsverbesserungen durch Training unter Stress: Allgemeine oder situationsspezifische Effekte?
Laura Voigt1, Johannes Renninghoff2, Gunnar Stiegler2, Martin Tischer2, Christoph Zinner2
1Deutsche Sporthochschule Köln, 2Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit
Trainingsprinzipien wie "Practice as you play" oder "Train as you fight" zeigen, dass in Bereichen wie dem Sport, Feuerwehr, Medizin und Polizei die Auffassung vorherrscht, dass das Training möglichst genau die Gegebenheiten des stressreichen „Einsatzes“ widerspiegeln sollte. Tatsächlich legen Ergebnisse aus diesen Bereichen nahe, dass das Training von perzeptuell-motorischen Fertigkeiten unter simulierten Stressoren Leistungseinbrüchen unter Stress entgegenwirken kann (Low et al., 2021). Im Einklang mit Theorien zur Verarbeitungseffizienz (Eysenck et al., 2007; Nieuwenhuys & Oudejans, 2017) bleiben trotz der Leistungsverbesserungen der wahrgenommene Stress und die mentale Anstrengung in den Stresssituationen nach dem Training unverändert (z.B. Nieuwenhuys & Oudejans, 2011). Bislang wurde die Wirksamkeit des Trainings unter Stress untersucht, indem die Fertigkeiten unter denselben Stressoren getestet wurden, die auch während dem Training eingesetzt wurden. Aus theoretischer Sicht ist daher unklar, ob die Leistungssteigerungen nach dem Training eine allgemeine oder situationsspezifische Fertigkeit zur Leistung unter Stress darstellen. Wenn das Training unter Stress eine allgemeine Fertigkeit zum Umgang mit Stress trainiert, dann sollte das Training einer Fertigkeit unter bestimmten Stressoren auch den Abruf dieser oder anderer Fertigkeiten unter anderen Stressoren verbessern (Giessing, 2021; Kegelaers & Oudejans, 2021).
In der vorliegenden Studie testeten wir die Effekte eines Trainings unter Stress auf die Leistung von 84 Polizeikräften (18 Frauen) in kritischen Einsatzszenarien, die sich in ihrer Hintergrundgeschichte, den damit verbundenen Stressoren und den getesteten Fertigkeiten von denen des Trainings unterschieden. Die Studienteilnehmer:innen wurden aus drei Studiengruppen im dritten Semester und aus einer Stichprobe von aktiven Polizeivollzugsbeamt:innen rekrutiert. Im Training erlernten die Polizeikräfte motorische Abwehrtechniken eines Messerangriffes in verschiedenen Übungen ohne (Kontrollgruppe, n = 33) oder mit Stressoren (z.B. Unkontrollierbarkeit, Zeitdruck, aversive Stimuli und soziale Evaluation; Experimentalgruppe, n = 51). Die Zuordnung zu den Gruppen erfolgte randomisiert für die Polizeivollzugsbeamt:innen und klassenweise für die Polizeistudierende. Die Einsatzszenarien erforderten Techniken zur Messerabwehr (vor und nach dem Training) und zum Umgang mit passivem Widerstand (nach dem Training). Die Leistung wurde mit Hilfe von Videoanalysen von drei unabhängigen Polizeitrainern anhand verschiedener Kriterien (z.B. Distanzverhalten, körperliche Abwehr, Situationskontrolle, Einsatz von Zwangsmitteln) bewertet. Wie erwartet blieben der wahrgenommene Stress und mentale Anstrengung in den Messerszenarien vor und nach dem Training gleich. Allerdings verbesserte sich sowohl die Experimental- und Kontrollgruppe signifikant in allen Leistungsparametern nach dem Training (η2p = .36 - .46).
Entgegen der bestehenden Literatur verbesserte der zusätzliche Einsatz von (simulierten) Stressoren die Wirksamkeit des Trainings nicht. Im Gegensatz zur bestehenden Literatur unterschieden sich in der vorliegenden Studie die Aufgaben und Stressoren zwischen Training und Testung. Die Effekte von Training unter Stress scheinen folglich aufgaben- und situationsspezifisch zu sein.
Die statische Apnoe-Tauchaufgabe für AthletInnen (SATA): Ein Paradigma zur Erfassung der psychologischen Flexibilität in extremen Umwelten
Marie Ottilie Frenkel1, Carolin Krupop1, Laura Voigt2
1Universität Heidelberg, 2Deutsche Sporthochschule Köln
Psychologische Flexibilität (PF) wird in Anlehnung an den Acceptance-and-Commitment-Therapy-Ansatz (Hayes et al., 1999) als eine Anpassungsfähigkeit verstanden, die es AthletInnen erlaubt, negative Auswirkungen von Angst auf sportliche Leistung unter extremen Bedingungen abzumildern (Bain et al., 2018). AthletInnen mit hoher PF vermeiden aversive innere Zustände nicht, sondern akzeptieren sie und handeln werteorientiert. Bislang wurde PF nur basierend auf Selbstberichtsdaten erfasst. Ziel der vorliegenden Studie war es, ein verhaltensbasiertes Messinstrument für PF zu entwickeln und zu evaluieren. Hierfür wurde eine statische Apnoe-Tauchaufgabe für AthletInnen (SATA) verwendet. Beim Apnoetauchen wird der Abschnitt bis zum ersten Impuls, Auftauchen zu wollen, als Easy-Going-Phase bezeichnet. Dieser folgt die Struggle-Phase, der aufgrund von Kontraktionen des Zwerchfells körperlich und mental unangenehmste Abschnitt des Atemanhaltens. Mit zunehmender Zeit des Tauchens in der Struggle-Phase wurde eine Zunahme der Zustandsangst erwartet.
In einem Within-Subject-Design führten N = 58 Studierende (M = 21.62 Jahre, SD = 3.83) das SATA-Paradigma zu drei Messzeitpunkten durch. Die Easy-Going-Phase wurde von den Versuchspersonen durch Handzeichen angezeigt. Zur Baseline blieben sie bis zu diesem Zeitpunkt unter Wasser. Zu den anderen beiden Messzeitpunkten wurden sie gebeten, so lange wie möglich unter Wasser zu bleiben, sodass sie die Struggle-Phase erreichten. In SATA wurde die PF auf der Verhaltensebene als die Länge der Struggle-Phase operationalisiert. Die Zustandsangst wurde vor dem ersten und nach allen drei Tauchdurchgängen mit dem Anxiety-Thermometer (Houtman & Bakker, 1989) erfasst. Dispositionelle Achtsamkeit (FFQ-D, Michalak et al., 2016) sowie die globale Erlebnisvermeidungstendenz (BEAQ, Gámez et al., 2014) wurden einmalig erhoben.
ANOVAs mit wiederholten Messungen ergaben eine signifikante Zunahme der Angst und der Zeit des Atemanhaltens über die drei Bedingungen hinweg. Multiple Regressionsanalysen ergaben einen positiven Haupteffekt von Angst auf die Zeit des Atemanhaltens zum zweiten Messzeitpunkt. Achtsamkeit sagte die PF in den experimentellen SATA-Versuchen nicht signifikant voraus. Explorative Analysen mittels Wilcoxon-Tests zwischen dem 2. und 3. Messzeitpunkt ergaben eine signifikante Zunahme der Zeiten in den Easy-Going- und den Struggle-Phasen.
PF lässt sich nicht einem bestimmten Messzeitpunkt zuordnen, weil die Operationalisierung der PF mithilfe der Länge der Struggle-Phase nicht bestätigt werden konnte. Die Ergebnisse legen nahe, dass SATA eine extreme, angstauslösende Umgebung darstellt, in der AthletInnen lernen können, wie sie mit Angst und weiteren aversiven Zuständen umgehen können. Folglich kann das entworfene Paradigma als sportpsychologische Trainingsform zur Emotionsregulation oder auch in adaptierter Version zum Training der Kompetenzerwartung verwendet werden.