Im Fokus: Psychische Gesundheit im Nachwuchsleistungssport
Chair(s): Jana Strahler (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland), Ines Pfeffer (Medical School Hamburg, Deutschland)
Körperliche Aktivität und regelmäßiger Sport ist für jeden Menschen, unabhängig vom Alter, von Vorteil. Gerade die Adoleszenz bildet hier eine relevante Lebensphase, da diese auf vielen Ebenen eine Phase der Veränderung darstellt und mit Stress verbunden sein kann. Die meisten psychischen Störungen treten in der Jugend und im frühen Erwachsenenalter auf, wobei etwa die Hälfte dieser Störungen in der mittleren Adoleszenz auftritt. Der Sport bietet zwar eine Reihe von Vorteilen für das körperliche und mentale Befinden, doch für junge Menschen, die sich leistungssportlich betätigen, kann der Sport eine zusätzliche Stressquelle darstellen. Das intensive Training und die Wettbewerbsanforderungen an junge Sportler:innen können die Anfälligkeit für psychische Symptome und Störungen in einer ohnehin schon schwierigen Entwicklungsphase erhöhen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Spitzensport, der durch zunehmende Professionalisierung und Spezialisierung gekennzeichnet ist. Zu den potenziellen Stressfaktoren für jugendliche Spitzensportler:innen gehören Leistungsdruck und Perfektionismus, Burnout, Aufrechterhaltung des akademischen und sozialen Gleichgewichts, zwischenmenschliche Konflikte oder Missbrauch, Verletzungen und Gehirnerschütterungen, sozialer Druck hinsichtlich Körperbild und Gewicht sowie ein gestörter Schlaf. Zusätzlich wird berichtet, dass viele junge Sportler:innen keine Bewältigungsstrategien erlernt haben, die ihnen helfen könnten, die Auswirkungen eines solch stressigen Umfelds abzumildern.
Dieses Transfersymposium bringt Forschung, Prävention und Klinik zusammen und möchte einen wechselseitigen Wissenstransfer anregen. Die drei Beiträge dieses Symposiums nehmen dabei unterschiedliche Perspektiven ein (Prävention und Therapie) und bringen verschiedene Professionen zusammen (Sportpsycholog:innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen).
Im ersten Beitrag stellen Walter und Kolleg:innen „2Steps4Health – Ein zweistufiges Präventionsprojekt zur Förderung der psychischen Gesundheit von Nachwuchsleistungsathlet:innen“ vor. Das zweistufige Präventionsprogramm soll psychischen Belastungen z.B. depressiven Symptomen von jungen Leistungsathlet:innen vorbeugen, diese frühzeitig erkennen und bei Vorhandensein psychotherapeutisch behandeln. Das Projekt befindet sich gerade in der Startphase der Durchführung. Im zweiten Projekt stellen Kaiser und Schmitz Daten der LIFENET Studie vor, die zum einen die psychische Belastung von Nachwuchleistungssportler:innen nachzeichnet, als auch entwickelte Versorgungsangebote evaluiert. Im dritten Beitrag berichtet Kauczor-Rieck zu Besonderheiten in der kinder- und jugendpsychotherapeutischen Behandlung von psychisch belasteten/erkrankten Nachwuchsleistungssportler:innen. Dieser Beitrag stellt außerdem eine Initiative der AG Sportpsychiatrie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. vor, ein Netzwerk an Kinder- und Jugendpsychiatern und -psychotherapeuten aufzubauen, die eine Expertise in den Besonderheiten des Leistungssports haben und Behandlungsangebote unterbreiten können.
Beiträge des Arbeitskreises
2Steps4Health – Ein zweistufiges Präventionsprojekt zur Förderung der psychischen Gesundheit von Nachwuchsleistungsathlet:innen
Nadja Walter1, Johanna Kaiser2, Barbara Braun3, Lisa Oppitz1, Josepha Richter2, Julian Schmitz2
1Universität Leipzig, Sportwissenschaftliche Fakultät, Professur Sportpsychologie, 2Universität Leipzig, Fakultät für Lebenswissenschaften, Professur Klinische Kinder- und Jugendpsychologie, 3Hochschule Macromedia
Berichte wissenschaftlicher Untersuchungen zu Prävalenzraten von psychischen Störungen bei Athleten:innen sowie personen- und umweltbezogenen Risikofaktoren lassen den Leistungssport als Gefahr für die psychische Gesundheit von Athleten:innen erscheinen (z.B. Reardon et al., 2019). Besonders Nachwuchsleistungsathlet:innen zeigen eine erhöhte Vulnerabilität für psychische Störungen, welche sich z.B. in signifikant höheren Prävalenzraten im Vergleich zu erwachsenen Leistungssportler:innen widerspiegelt (z.B. Frank et al., 2013; Junge & Feddermann-Demont, 2016; Jensen et al., 2018). Zudem weisen Studien darauf hin, dass sich bei einem frühen Krankheitsbeginn häufiger eine erhöhte Wiedererkrankungsrate sowie ein schwererer Verlauf der psychischen Störung, beispielsweise einer Depression, zeigen können (z.B. Pietsch et al., 2012). Daher sollten bestehende psychische Belastungen und Beanspruchungen möglichst frühzeitig erkannt und entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten verfügbar gemacht werden. Das Ziel dieses – von der Robert-Enke-Stiftung geförderten – Projektes ist die Förderung der psychischen Gesundheit von Nachwuchsleistungsathlet:innen. Mit Hilfe der Entwicklung, Evaluation und langfristigen Implementierung eines zweistufigen Präventionsprogramms soll psychischen Belastungen und damit beispielsweise auch depressiven Symptomen von jungen Leistungsathlet:innen vorgebeugt, diese frühzeitig erkannt und bei Vorhandensein psychotherapeutisch behandelt werden. Das zweistufige Präventionsprogramm besteht aus einer universellen Prävention (Stufe 1) und einer indizierten Prävention (Stufe 2). In Präventionsstufe 1 lernen die Teilnehmenden im Rahmen von drei Workshops wichtige Grundlagen zu gesundheitsrelevanten Themen wie Stress und Stressverarbeitung, Kommunikation und Interaktion sowie physiologische Bedingungsfaktoren (z.B. gesunder Lebensstil) kennen und entwickeln Strategien zur Belastungsreduktion für den privaten und sportlichen Alltag. In Präventionsstufe 2 werden in einer Kleingruppe über mehrere Wochen hinweg Strategien zum Umgang mit negativen Gedanken erlernt sowie Übungen zur Selbstwertstärkung und Verbesserung der sozialen Kompetenz durchgeführt. Die Inhalte aus Stufe 1 werden hier mithilfe etablierter kognitiv-verhaltenstherapeutischer Methoden vertieft. Während Stufe 1 für alle Nachwuchsleistungsathlet:innen gedacht ist, richtet sich Stufe 2 speziell an Athlet:innen, die bereits erhöhte Belastungssymptome wie bspw. Depressivität, Trauer, Angst, Stress oder Selbstzweifel berichten. In beiden Präventionsstufen werden validierte Messinstrumente zum prä-post-follow-up-Zeitpunkt eingesetzt, wie z.B. der Youth-Self-Report (YSR 11-18, Döpfner et al., 2014) oder der Fragebogen zur Stressverarbeitung für Kinder und Jugendliche (SVF-KJ, Hampel & Petermann, 2016). Parallel hierzu sind weitere Messinstrumente zur Erhebung von Kompetenzen, aber auch hinsichtlich des Qualitätsmanagements geplant. Im Rahmen von drei großen Arbeitspaketen – Auftakt und Entwicklung, Durchführung und Evaluation sowie Transfer und langfristige Implementierung – soll das Projekt in den Jahren 2023 und 2024 umgesetzt werden. Zum aktuellen Zeitpunkt wird im Rahmen des ersten Arbeitspaketes der offizielle Start des Projektes vorbereitet.
LIFENET – ein Angebot für psychisch belastete Nachwuchsleistungssportler:innen
Johanna Kaiser, Julian Schmitz
Universität Leipzig, Fakultät für Lebenswissenschaften, Klinische Kinder- und Jugendpsychologie
Aktuell werden nach Angaben des DOSB allein an den 43 Eliteschulen des Sports in Deutschland ca. 11.500 Nachwuchs-Leistungssportler:innen gefördert . Die Gesamtzahl der aktiven Nachwuchsathlet:innen dürfte jedoch deutlich höher sein, wenn man bedenkt, dass bei weitem nicht alle eine Eliteschule des Sports besuchen. Eine Leistungssportkarriere bedeutet in aller Regel eine starke Stressbelastung, die unter anderem durch einen permanenten Leistungsdruck, starke körperliche Beanspruchungen und der mitunter sehr schwierigen Vereinbarkeit von Schule und Sport gekennzeichnet ist. Epidemiologische Studien legen nahe, dass psychische Störungen im Nachwuchsleistungssport häufig sind und einzelne Störungsbilder sogar eine deutlich erhöhte Prävalenz im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung aufweisen (z.B. Markser & Bär, 2019). Trotz der hohen Relevanz von psychischen Erkrankungen im Nachwuchsleistungssport fehlt es jedoch bisher an einem empirisch fundierten psychotherapeutischen Versorgungsansatz für Nachwuchsathlet:innen sowie für relevante Bezugspersonen.
In unserem Projekt wird ein klinisch-psychologisches Interventionskonzept für jugendliche Leistungssportler:innen entwickelt und empirisch evaluiert. Neben einer Datenerhebung zur psychischen Belastung von Nachwuchleistungssportler:innen umfasst das Projekt eine Reihe von Versorgungsangeboten. Dazu gehören Informationsveranstaltungen für Schüler:innen und Bezugspersonen zur Aufklärung über psychische Erkrankungen, Spezialsprechstunden als niederschwelliges Beratungsangebot, Gruppenangebote in Kooperation mit dem 2Steps4Health-Projekt, welches von der Robert-Enke-Stiftung gefördert wird, sowie die Weitervermittlung in sportpsychologische Beratungen oder psychotherapeutische Behandlungen. Alle Interventionsteile wurden mittels Selbstberichts-Fragebögen anonymisiert oder pseudonymisiert evaluiert.
Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass Jugendliche im Nachwuchsleistungssport nicht weniger psychische Beanspruchungen berichten als Jugendliche ohne Leistungssportkarriere. Beispielsweise gaben 40% der befragten Athlet:innen (N=53) überdurchschnittlich hohe internale Belastungssymptome im Youth Self Report (YSR/11-18R, Döpfner et al., 2014) an. Zudem zeigten sich in der Auswertung klinisch auffällige Werte bei fast 12% der Befragten für die DSM-orientierte Subskala Depressive Symptome sowie bei fast 10% für die Subskala Angstsymptome. Die Evaluationsdaten zu den Versorgungsangeboten des Projekts belegen, dass die teilnehmenden Leistungssportler:innen und Bezugspersonen diese als hilfreich bewerteten und weiterempfehlen würden. So zeigte sich beispielsweise ein signifikanter Anstieg des Wissens über Depressionen und Angststörungen durch Informationsworkshops, während sich Stigmatisierungstendenzen signifikant reduzierten. Zudem berichteten die Workshop-Teilnehmenden signifikant mehr Selbstsicherheit im Umgang mit betroffenen Personen.
Wo liegen die Besonderheiten in der kinder- und jugendpsychotherapeutischen Behandlung von psychisch belasteten/erkrankten Nachwuchsleistungssportlern?
Katja Kauczor-Rieck
Universitätsklinikum des Saarlandes und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
In der Gruppe der Leistungssportler:innen zeigt sich, dass es ebenso zum Auftreten von psychischen Erkrankungen kommen kann, wie in der Gruppe der Nicht-Leistungssportler:innen. Darüber hinaus gibt es leistungssportspezifische Faktoren, wie zum Beispiel die frühe Spezialisierung auf eine Sportart, Leistungsdruck, und Erwartungen des Umfelds, Entwicklung einer Sportler-Identität etc., die ein zusätzliches Risiko für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung darstellen können und wesentliche Relevanz in Bezug auf das Störungsmodell und damit auch für die psychotherapeutische Behandlung der Leistungsportler:innen besitzen.
Immerhin 34% der Sportler:innen berichten von emotional übergriffigen/schädlichen Erfahrungen. Kinder im Leistungssport geben den sozialen Druck, also das Gefühl Leistung bringen zu müssen, um wahrgenommen zu werden, um zu gefallen und um respektiert zu werden, als die größte Belastungskomponente an.
Am Beispiel der Essstörungen im Leistungssport, können diese zusätzlichen Risikofaktoren, aber auch die Notwendigkeit des zusätzlichen Wissens um die Strukturen und Rahmenbedingungen des Leistungssports durch die jeweiligen Psychotherapeut:innen sehr anschaulich herausgearbeitet und dargestellt werden. Neben der Schnittmenge bezüglich der wissenschaftlich belegten Entstehungsfaktoren für Essstörungen kommen bei Leistungssportler:innen mit Esstörungen noch sportspezifischen Faktoren wie Verletzungen, kritische Bemerkungen von Trainer:innen und/ oder des Umfelds, Leistungssteigerung durch niedriges Gewicht, wahrgenommener sozialer Druck.
Im Rahmen der Psychotherapie spielen diese sportspezifischen, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren der Essstörung eine wesentliche Rolle in Bezug auf das Erklärungsmodell, aber auch in Bezug auf die Möglichkeiten und den Spielraum zur Verhaltensänderung der Leistungssportler: innen bei Verbleib im System des Leistungssports. Zusätzlich müssen Behandler: innen bei Leistungsportler:innen mit Essstörungen grundlegend andere Kriterien in Bezug auf die erlaubte körperliche Aktivität, die Definition des Sportgewichts, etc. berücksichtigen. Von wesentlicher Relevanz bei der Behandlung ist auch die Berücksichtigung des kompletten und sehr komplexen Bezugsystems von Leistungssportler:innen. Neben dem in der Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie üblichen Einbezugs der Eltern, des engeren familiären Umfeldes sowie gegebenenfalls der Schule müssen bei diesen Patient:innen auch die Trainer, gegebenenfalls auch weitere Bezugspersonen aus Leistungszentren (zum Bsp.: Stützpunkttrainer:innen, Bundestrainer:innen etc.) mit einbezogen werden um den Raum für Veränderungen zu schaffen.
Es ist deshalb unser Ziel ein Netzwerk an Kinder- und Jugendpsychiatern und -psychotherapeuten aufzubauen, die eine gewisse Expertise mit den Besonderheiten im Leistungssport haben und die den jungen psychisch belasteten Leistungssportlern zeitnah und wohnortnah ein Behandlungsangebot unterbreiten können.